Donnerstag, 22. Juli 2010

VIERZEHN (lam)

Am schönsten ist es, wenn der Schmerz nachlässt.

Die Karambolage war glimpflicher ausgegangen als erwartet. Zumindest für mich, die Schulter hatte einiges abgefangen. Nicht sicher, wie es den Anderen gerade ging, aber nachschauen konnte ich vorerst auch nicht. Mit geschlossenen Augen blieb ich regungslos auf dem Rücken liegen. Atmete die schwere, erhitzte Luft zunehmend langsamer ein und aus, und musste unwillkürlich grinsen bei dem Gedanken an die Show, die wir gerade zum Besten gegeben hatten.

Und da fingen die Besoffenen an zu lachen. Einer nach dem anderen stimmten sie in das lauter werdende Gegröle ein. Während sie sich gegenseitig mit dämlichen Witzen über uns unterhielten, öffnete ich meine Augen und wurde sofort mit einem gleißenden Blitz bestraft. Irritierend blinzelnd erkannte ich nach und nach die Menschentraube, die den vorher durch pure Panik leergefegten Marktplatz nun wieder füllte. Vereinzelt standen die Leute rotzfrech mit ihren Fotohandies am Epizentrum des Aufpralls und knipsten die Szenerie.

Drecksdinger. Ich konnte sie noch nie leiden, so überflüssig wie Milzbrand. Nur damit man seine Gören jederzeit mit nem fetten SUV Jeep von der 210 Meter entfernten Schule abholen kann. Und die Tussi, die mich gerade abgelichtet hatte, würde ich ohne Zweifel in ebendiese Sparte stecken. Sowas hatte ich eigentlich schon kommen sehen müssen, so sensationsgeil wie die Menschheit heutzutage ist. Würde mich nicht wundern, wenn das morgen auf der Titelseite der Bild-Zeitung erschiene.

Sorgenvoll blickte ich zu dem Knäuel unweit von meiner Position. Meine Befürchtungen waren jedoch unbegründet, wie sich herausstellte. Soweit ich das erkennen konnte, waren die Köpfe heil geblieben, im Gegensatz zum Blob war kein Hirn vergossen worden. Sofort ging es mir wieder eine ganze Ecke besser. Zwar nicht so gut wie beim Tits-Daily-Lesen, aber immerhin. Ich rappelte mich auf und verlor sofort wieder mein Gleichgewicht. Ich fiel hart auf den Hosenboden zurück. Benommen und mit schmerzendem Steißbein versuchte ich die Ursache auszumachen. So etwas passiert eigentlich nur, wenn der Vestibularapparat versagt. Langsam dämmerte es mir.

Sonst hatte ich schon öfters miterlebt, wenn dem Priester das Müss zu den Ohren rauskam, diesmal jedoch war ich an der Reihe. Eine meiner Zigarren hatte sich beim einseitigen Sturz in den Gehörgang gerammt, so stark, dass mir der Tabak schon in die Mundhöhle rieselte. Während ich am rausstehenden Cohiba-Ende rumfummelte, stelle ich mir die Frage, ob es noch schlimmer kommen konnte. In solchen Momenten versucht man ja, irgendwie damit fertig zu werden. Das einzige was mich in diesem Moment trösten konnte?

Es hatte wirklich Kuchen gegeben...

DREIZEHN

Sie trafen nicht alle frontal aufeinander.

Auf ihrem rennenden Weg hatten sie mehrere Passanten umgeworfen, die nicht rechtzeitig ausweichen konnten. Viele an der Schulter, wenige an Hüften, Hintern, Beinen. Nur leicht waren sie von ihrem Ziel abgekommen, Stolpernde und Stürzende hinter sich lassend, mit geballter Kraft weiter laufend. Vier Leiber ertrugen nun mit schmerzenden Gliedern und Rümpfen die Folge dessen, was alle vier einer Eingebung folgend begonnen hatten.

Der Kommandant rammte erst Fisch an der linken Körperhälfte, der herumgewirbelt wurde und stieß dann mit an den Bauch gedrücktem Flakon geduckt und massig auf Klicks, der kurz vor dem Aufprall seine Gipshaube herunter gerissen, sie an sich gepresst und seinen ganzen Körper um sie herum schützend gekrümmt hatte. Wie ein Käfer mit rundem Rücken hob er von der Wucht des Kommandantenkörpers, der ihn an den Oberschenkeln traf, einen halben Meter ab und schlug sich in der Luft einmal um seine Achse überschlagend mit dem gekrümmten Rückgrat auf den Steinboden. Lambda verfehlte den Kommandanten und den abhebenden Klicks um Haaresbreite und prallte nach rechts gedreht mit gesenktem Kopf in den angespannten Bauch von Fisch, der völlig orientierungslos mit abgespreizten Armen und Beinen einer Spinne gleich auf dem Boden aufschlug. Lambda stürzte auf die Schulter, rutschte mehrere Meter aufschürfend über den Platz und kam vor der Gruppe Betrunkener zum Stillstand, die ihre Bierflaschen umklammerten und zurückzuckten.

Mittwoch, 21. Juli 2010

ZWÖLF

Der Priester hörte Stimmen.

Es waren die Stimmen des Aufrucks. Es ruckte in ihm, er konnte es spüren. Vollkommen umgeben von Licht, das sich um ihn und zylindrisch über ihm auf ihn selbst ergoss, das Blau des Himmels aufreißend, sah er in die Abgründigkeit von etwas, das ihm sämtliche Sinne nahm. Es bohrte sich sanft in sein Inneres, in die Emulsion seiner Körpersäfte, es umspülte ihn, strebte empor, nahm Besitz von seinem Schädel, schwappte in ihm umher, wogte ihn in längst vergessene Vertrautheit. Alles um ihn herum war hell orange, pastellgelb, wenig weiß, sich drehend, zirkulierend, um ihn herum, als sei er der Mittelpunkt der Welt.

Eine milchige Gestalt näherte sich ihm, ohne klare Konturen. Es war ein Gesicht mit nebulösen Augen, ahnend, ergreifend, in ihn fahrend. "Ich bin das Müss." Der Priester hörte die warme tiefe Stimme nicht, sie war in ihm. Er erinnerte sich schwach an das, was ihm bei seinen Reisen erschienen war. Er hatte ein Tor betreten, tief unter der Anlage, umgeben von Milch. Bastane waren ihm entgegengetreten, einer nach dem anderen, und nur seine innere Kraft hatte sie zur Seite treten lassen, immer tiefer hineinschreitend. Er hatte nach zwanzig von ihnen Zweifel, stärker werdend nach dreißig, aber dann wusste er, dass es ein Ende haben würde. Der Dreiundfünfzigste Bastan führte ihn zum Müss, umgeben von all dem, was Menschen zurücklassen konnten und sich davon ernährend, kein Ventil weit und breit.

Nun war es Das Müss selbst, was ihn umfasste, umspülte, erströmte. Hinter den Ohren des Priesters, im Inneren seines Schädels, rieb es sich an seiner Kopfhaut. Er, der Priester, er wusste nun, dass alles nicht umsonst war. Er öffnete seine Augen, doch er sah nicht, er wusste vielmehr. Um ihn herum, durch den wabernden Schleier des milchig-orangenen Zylinders, rannten vier weitere schwarze Gestalten aufeinander zu, andere Leiber zur Seite abstoßend.

ELF

Es begann.

Ohrenbetäubendes Schreien erfüllte quadrophonisch den Platz. Aus allen vier Himmelsrichtungen rannten die Leiber heran, schreiend, mit verkniffenen Augen, jeweils exakt geradeaus. Kommandant Wolke, von Osten, hatte seinen Flakon wieder aus der Tasche genommen und reckte ihn beim Laufen mit der rechten Hand in die Höhe, schwer mit den Schuhen gegen den dicken braunen Stoffsaum schlagend. Klicks, von Westen, steckte alle Kraft in seine Arme und hielt beim Rennen seine Gipshaube so hoch in den Himmel, wie niemals zuvor, den darunter einblasenden Wind mühsam ausgleichend. Fisch, von Norden, nahm sämtliche Energie zusammen und schoss wie ein Sprinter der imaginären geraden Linie hin zum Zentrum entlang, die Augen geschlossen. Lambda, von Süden, verschränkte die Arme vor seiner Brust und rannte zeitgleich mit den anderen los. Alle vier brüllten wie Berserker, ließen ihre Kehlen und Stimmlippen schmerzen, jeder der vier Mundräume ein gigantisches Loch voller Schwingungen, Oralgewebe flatternd.

Die Passanten auf dem Platz konnten nur mühsam fassen, was vor sich ging. Einige drehten sich um, einige im Kreis, andere stolperten, die meisten kapitulierten vor der Entscheidung, in welche Richtung sie flüchten sollten. Eine Gruppe Betrunkener erging sich in verständnislosem Stillstand, die Hasen schossen irritiert vom Gras weg, ein bekappter Jugendlicher warf sich auf den Boden und verlor seinen linken Schlappen. Wo sich die vier Körper treffen würden, wurde den wenigsten klar, gut die Hälfte war zunehmend damit beschäftigt, sich wild umschauend auszurechnen, wo sich das Zentrum des Aufpralls bilden könnte.

Als sich die Möwe vom Römertor krächzend erhob, war der Priester in seine Vision bereits vollkommen versunken.

Dienstag, 20. Juli 2010

ZEHN (cos/die)

Im Hirn des Priesters schwappte es.

Es schlickerte, floss, kaum merklich, am linken Ohr vorbei. Ein intuitives Etwas wand sich unter der Schädeldecke, wie eine Eingebung, eine Derealisation. Er schaute in das Glotzen der Gefährten vor ihm, die sich mit teils offenstehenden Mündern und großen Augen kaum noch regten. Etwas zog an seinem Inneren, wie ein parallel zum Boden über ihm schwebendes Kreuz, es zog nach vorn und hinten, zu den Seiten, gleichzeitig. Eine Ziffernfolge erschien vor seinem inneren Auge. 30, 20, 10.

Ohne dass er es bewusst hätte steuern können, fuhr im ein Wort aus dem Mund. "Schololade." Er lallte es mehr, als dass er es sagte. Schololade, von weiß bis staubig. Mit Chili oder Pfeffer. Mit Orange oder Erdbeeren. Geschmacksempfindungen überströmten ihn, sein Körpergefühl änderte sich, er fühlte sich wie Naturdarm, gefüllt mit zähfließender Emulsion. Von dem, was sich nun auf dem Platz an allen vier Himmelsrichtungen abspielte, bekam er nichts mehr mit. Er tauchte langsam in eine schillernde Vision ab, die ihn von oben nach unten gleißend hell einhüllte.

Freitag, 16. Juli 2010

NEUN

Klicks begann den Einzug.

Von Westen, noch gut 50 Meter von der Bank entfernt, hob er seine rotbesprenkelte Gipshaube beidhändig in die Höhe und stoppte. Sein Blick wandte sich abwechselnd in die übrigen Himmelsrichtungen, den anderen Ankommenden entgegen. Rechts bei der Bank rotierte der Priester schwächer werdend, alle Blicke der starr dort sitzenden Gefährten auf sich. Das Kisok brütete unter der großen Jalousie, er sah deutlich die Auslegeware und leckte sich die Lippen, die nach mehrfarbiger Schminke schmeckten. Die Gipshaube lag schwer in seinen Händen, auf seinen Armen, er ließ sie keinen Zentimeter wanken.

Lambda war inzwischen aus der Gasse von Süden auf den Platz getreten, verlangsamte seinen Schritt, blickte jedoch nicht zu den anderen, sondern senkte den Kopf, starrte aufs Pflaster und horchte. Er nahm seine linke Hand aus der Hosentasche und ließ sie wie seine rechte lose baumeln, leicht schüttelnd. Sein Rücken krümmte sich nach vorn, ein Schweißtropfen löste sich von seiner Stirn und hinterließ einen winzigen kleinen Kreis Flüssigkeit auf Stein. Er konnte sie hören, sie alle.

Kommandant Wolke war der letzte, der die geometrische Reinheit des Einzugs begriff. Wähernd die Sonne seine Glatze rötete und der schwere, braune Stoff bei jedem Schritt abwechselnd gegen die straff beschuhten Füße stieß, hatte er seinen Weg vom Flussufer aus angetreten, über die große Brücke, über die Promenade, Stufen empor und das gigantische Gebäude rechts an sich vobeiziehen lassend geradeaus. Leicht links baute sich in seinem Blick schemenhaft die Bank am kargen Baum mit all den Wahnsinnigen auf, die stocksteif mit durchgedrückten Rücken darauf saßen und nur Augen für eine magere Gestalt in wehend schwarzem Talar hatten, die gerade jegliche Regung einstellte. Er griff in die Seitentasche, umfasste den inzwischen warmen kleinen Glasflakon, hob den Verschluss sanft, roch am Inhalt, verschloss ihn und steckte ihn weg. Er hob den Kopf. Nun sah er sie, alle.

Fisch spannte seine Sehnen. Er kam von Norden, die emporgeklommenen Stufen lagen hinter ihm. Direkt in seiner Blickrichtung, hinter dem Pulk der Gefährten, stand Lambda mit gesenktem Kopf, horchend. Links erkannte er Kommandant Wolke, rechts hielt Klicks seine Gipshaube immer noch regungslos in die Höhe. Es waren vielleicht 50 große Schritte bis zur Bank, aber er wollte sie rennen. Kein Ziel außer der Bank dafür zu haben, hielt ihn zurück. Er wandte seinen Blick an Klicks vorbei nach rechts zum Römertor und sah die Möwe, die stoisch auf dem obersten Stein hockte, kein Windhauch stob durchs Gefieder wie sonst. Alle vier Himmelsrichtungen standen still, die Einziehenden verharrten.

Fast zugleich hoben alle vier der Neuankömmlinge den Kopf, richteten ihn zur Bank hinter dem Kisok aus und taten etwas, was die zufällig vorbeiziehenden Passanten auf dem Platz vor ihnen, wenigen aus den Fenstern der angrenzenden Gebäude Herauslehnenden und alle anderen um sie herum erstarren ließen.

ACHT

Eine Möwe kreiste über dem Platz. Weiß schimmernd das Gefieder, sie hatte sich von der Brücke erhoben, war über den Fluss geflogen, hatte nach Fraß geschaut, sich hier und da niedergesetzt, wieder erhoben, jetzt segelte sie. Abwechselnd das eine und das andere Auge über den Platz ausrichtend, schien ihr kein Ort geeignet, sich niederzusetzen.

Unter ihr verfolgte sie aufmerksam das Spiel der gehenden, wankenden, schreitenden Körper. Das metallische Schimmern eines kleinen Gebäudes auf Rädern zog sie magisch an. Kein Senken, statt dessen kreiste sie weiter. Unter einem kargen Baum, auf einer Bank, sammelten sich mehr und mehr Gestalten. Die Hektik ihrer Bewegungen hatte sich gemildert, nun saßen sie aufrecht und aufmerksam und schauten in nördlicher Richtung zu einem Menschen in flatterndem Talar, der nicht aufhörte, mit seinem rechten Arm und ausgestreckter Hand zu kreisen.

In perfekter Geometrie näherten sich vier Menschen der Bank, einer von Süden, einer von Norden, hinter dem Kreisenden, der eine schlappend, der andere marschierend, zwei weitere von Osten und Westen, der eine glatzköpfig mit schwerem braunen Körperkleid, der andere in schillernden Farben, dickem Schuhwerk mit Metallsohlen, die klickernd über den Steinboden klackten, über seinem Kopf eine rotgefleckte Gipsschale tragend.

Die Möve entschied sich, senkte den Körper, zielte auf den höchsten Punkt des gebogenen Römertors und landete sanft abfedernd auf dem Stein.

Donnerstag, 15. Juli 2010

SIEBEN

Es war Olschi, der die Tagesroute vorgab, ohne es zu wissen. Er hatte sein Blechfass angezogen, das in den wiederkehrenden Sonnenstrahlen glänzte und kleine wilde Punkte in den Augen der Gefährten erzeugte. Duden Eins jagte nun zwei Zielen hinterher, den Fliegen und den Punkten. Zunehmend wilder fuchtelte er vor sich herum und stieß dabei das Glas von der Bank, das matt ploppend auf den Grasboden fiel, mit dem Deckel nach unten. Rofler legte sich vor ihm hin und begann es zu streicheln, abgründiger grinsend als jemals zuvor, hin und wieder daran herumlutschend.

Olschi richtete schwitzend sein Blechfass und ignorierte die rotschimmernden Abdrücke auf seinen Oberschenkeln. "Konzentriert euren Hass", sagte er nur. Der Priester bellte, Revolverheld machte es ihm nach. Ein Pudel starrte die beiden einige Meter entfernt an und ließ sich von seinem Besitzer nicht mehr wegziehen, bis er mit kratzenden Krallen über den Steinboden des Platzes hinweggeschleift wurde und sich mit wild verdrehten Augen in der Leine verbiss und immer weiter darin verhedderte.

Die würgenden Laute des Pudels, keuchender, winselnder, fuhren wie ein Blitz in die bisher träge Gruppe der Gefährten. Revolverheld bellte immer lauter, begann ebenfalls zu würgen, Rofler lutschte hemmungsloser, während Olschi mit flachen Händen auf sein Blechfass einschlug, was die Striemen auf den Oberschenkeln nur noch roter machte. Flugschaf presste den Daumen auf seine halb leere Limonadenflasche und begann zu schütteln, sich, die Flasche, die Bank.

Plötzlich richtete sich der Priester auf, ging einen Schritt nach vorn, drehte sich um, streckte die Schultern nach außen, erhob den Arm und zeigte in rotierender Bewegung abwechselnd auf jeden der Gefährten. Seine Augen waren weit geöffnet, schillerndes wolkenhaftes Weiß, das den fuchtelnden Duden Eins noch wahnsinniger machte; sein Mund öffnete sich, er neigte den Kopf zurück und stieß nacheinander mit harter Stimme "Selbstbesudler! Selbstbesudler!" heraus. Die Meute reagierte prompt. Nacheinander verflechteten sich Extremitäten in Fuchtelei, Arme, Beine wurden herumgeschüttelt, Rofler versuchte vergeblich, am Hinterkopf von Flugschaf herumzulutschen und dabei gutturale Laute des Lachens hervorzustoßen. Plausibel, so schien es.

Die feuchte, vom Gewitter aufgeladene Luft stob langsam und kaum merklich empor, nur ein milder Wind hallte dem nach, was zuvor vom Himmel herabgetobt war. Etwa einhundert Meter weiter entfernt, von Süden die Straße entlangschreitend, eine Hand in der Hosentasche, die andere locker herabbaumelnd, näherte sich Lambda dem Kisok, hinter dessen Jalousie zwei Hände die Tits Daily geometrisch extakt ausrichteten.

Mittwoch, 14. Juli 2010

SECHS

Ein neuer Tag. Schwüle Hitze blähte sich träge durch die Gassen wie in Olivenöl getauchte Zuckerwatte, alle Leiber einölend. Schmatzend, schlotzend hoben sich nackte Füße in feuchten Schlappen, Hände zogen klebrige Filme duchnässter Baumwoll-T-Shirts vom Leib. Die wenigen Passanten zogen Fahnen säuerlichen Geruchs hinter sich her, ein Adipöser kollabierte wenige Meter vom Kisok entfernt und klatschte auf den Asphalt wie eine milchige Qualle.

Das Kisok hatte vor fünf Stunden die Jalousie hochgezogen, die Auslegeware verblich in knalliger Sonne. Die Gefährten hatten sich wieder eingefunden, nachdem sie in ihren Löchern ihren Rausch ausgeschlafen hatten und erinnerten sich an zersetzte Fetzen dessen, was von der Nacht an Erinnerung übrig geblieben war.

Der Priester zog Speichelfäden, während er leise immerzu "Froyo Eclair" murmelte, kauernd auf der einzigen Bank in der Nähe des Kisoks, die vom nahestehenden Baum bruchstückhaft schattiert wurde. Er hatte mittags versucht zu essen und hierzu 48 Hamburger aus acht Packungen Burgerbrötchen und drei Packungen Fleisch zusammengelegt, war darüber aber wieder eingenickt, was ihn zumindest davon abhielt, das rohe Fleisch in sich hineinzudrücken. Sein Mobiltelefon lag achtlos auf den Boden geworfen vor ihm. Wer immer ihm zu nah kam, wurde von ihm stakkatohaft angebellt. Duden Eins saß neben ihm und beobachtete die Fliegen, die er mit der bloßen Hand fing und sie in ein Einmachglas füllte, das er ab und zu schüttelte. Mit einem Faserstift hatte er einen wilden Truthahn auf das Glas gemalt.

Der Priester machte keine Regung, als der Revolverheld wie von einem Touretteanfall geschüttelt mehrfach "Dem Reserver reichen 100 Milliarden" aus sich herausschleuderte. Die Passanten zuckten zurück. Duden Eins versetzte dem Priester eine Ohrfeige bei dem Versuch, eine Fliege vor seiner Nase zu fangen. "Für weniger weit entwickelte Zivilisationen ist jede hinreichend weit fortgeschrittene Technologie von Magie nicht zu unterscheiden", sagte der Priester und kramte seine Hamburger zusammen.

Flugschaf war inzwischen angekommen, kaufte sich am Kisok eine Limonade und setzte sich neben Revolverheld. "Wo warst Du, Weißpelz", warf ihm Revolverheld entgegen, "mit Django rumspielen, nicht wahr." "Gehirnsalat", sagte Flugschaf nur und strich sich über den feuchten Körper. Von weitem rückte aus Westen ein Unwetter heran. Rofler drehte sich kurz um, als er zur Bank trottete und grinste sein unheimliches Grinsen. Er sah auf die aufgehäuften Hamburger. "Geiloficko." Wir wussten nicht, was er damit meinte. Wir wollten es nicht wissen.

Sonntag, 11. Juli 2010

FÜNF (fis)

Ich erkenne den Priester von weitem an seinem Kragen. Er trottet, Kopf nach unten, mit einem Rosenkranz in den Händen an mir vorbei und ignoriert mich. Die Luft ist frisch und klar, nur ein klein wenig zu kalt, was mich aber wach hält. Auf der vollgeschissenen Betonbrüstung sitzen drei Tauben und starren mich an. Sie rühren sich nicht mal, als ich kaum einen Meter entfernt an ihnen vorbeigehe. Stimmen von vorne. Kaum erkennbar sitzen drei Gestalten vor der Holzwand des Kisoks. Ich bin noch zu weit weg, um mehr sehen zu können, aber sie wirken nass und verfroren. Ein Streichholz glimmt kurz auf, verlischt aber sofort wieder - ich ahne schlimmeres.

Mein Verdacht bestätigt sich, als ich in näher komme. Am Boden neben Lambda und Dixi sitzt Meisterfrucht, der mit einem Stock Kringel und Ovale in den feuchten Dreck krakelt. Dixi schläft anscheinend, er reagiert jedenfalls nicht auf meine Ankunft. Er zuckt kurz und sein Kopf sinkt tiefer auf die Brust. Lambda hebt träge den Kopf, schaut mich an. Eine Cohiba steckt in seinem Mundwinkel. Er wirkt, als würde er gerne etwas sagen, hätte aber kurzzeitig das Sprechen verlernt. Meisterfrucht ist mittlerweile dazu übergegangen, das Foto einer Frau aus einem Tittenmagazin zu reißen.

Lambda hat sich anscheinend wieder gefangen und mit der Zigarre im Mund nuschelt er "Haste Feuer mitgebracht?" Wasser tropft mir vom Dach des Kisok in den Nacken, als ich mein Zippo raushole um Lambdas Zigarre anzuzünden.

VIER

Es war der Priester, der mich weckte. Wir waren allesamt vor dem Kisok eingeschlafen und ließen uns vom Gewitterschauer benetzen. Eine feuchte Seite der Tits Daily krümmte sich im abflauenden Wind und hob ab, fiel herunter, wurde aufgefangen, stieg weiter auf und klatschte gegen eine Scheibe des benachbarten Hotels, wo sie widerspenstig haften blieb. Die aufsteigende Sonne schälte sich vom anderen Ufer ab und machte sich an, unsere verkaterten, entwässerten Schädel zu beleuchten.

"Ich habs gesehen", sagte der Priester. "In den Wolken". Ich blickte mit einem Auge in den Himmel und sah darin schmerzende frühe Sonnenstrahlen. Meisterfrucht zeigte seine bleiche Gesichtshaut dem neuen Tag, saure Magensäure aufräuspernd. Rofler pisste an das Römertor und grinste immer noch sein furchteinflößendes Grinsen. "Was hast Du gesehen", fragte ich den Priester. Er schlug sich die vom Wind auseinandergeschlagenen Hälften seines offenen Hemdes zusammen und schaute mir direkt in die Augen. "Die Hydra", sagte er mir offen ins Gesicht. Ich blickte ihn stumm und starr an. Lambda schlief noch immer und bewegte sich nicht. "Sie kann viele Köpfe verlieren, aber schlage ihr nicht die Mitte ab." Ich begann, zu begreifen.

"Es ist die Freundschaft", sagte der Priester. "Eine Freundschaft ist nichts wert, wenn sie das Schwert vermisst." Der Wind nästelte flatternd am Kragen seines Hemdes, das von seinen Armen umschlungen wurde. Die Augen des Priesters verschlossen sich, sie öffneten sich, und ich schaute in eine Veränderung. "Aber das Schwert sollte von Freundschaft geführt werden." Ich sah auf die grasfressenden Kaninchen. Rofler hatte sich wieder auf eine Parkbank gesetzt und trat den Stummel einer ausgebrannten Cohiba weg, während mein Blick auf das Erbrochene fiel, das Meisterfrucht vor wenigen Stunden an der Betonbrüstung verteilt hatte. Der Fortgang meines Begreifens bahnte sich seinen Weg. "Son bischen fühlt man sich dann ja doch verarscht", sagte der Priester.

"Es tut mir leid", sagte ich. Die Sonne ging endgültig auf und spiegelte sich an den wenigen Metallstücken des Kisoks.

DREI

Nach Mitternacht am Kisok.

Es ruht ausdünstend unterm Mitternachtshimmel; der Pächter kramt die Auslegeware zusammen und packt die Tits Daily in Karton. Touristen streifen vorbei und nehmen letzte Blicke mit ins Hotel auf das, was ihnen entgangen sein mag. Lambda hat seine letzte Cohiba ausgepafft, sediert, aber immer noch rüttelnd. Er macht das immer so, an der Schulter rütteln, wenn ihm irgendwas nicht gefällt. Gerüttelt sitzen wir da und blicken auf die sich heruntersenkende Jalousie. "Scheiß Dunkelheit", sagt er.

Rofler war derweil auf der benachbarten Parkbank eingeschlafen, grinsend. Immer dieses Grinsen. Der Priester lächelt. Er sitzt seit zwei Stunden einfach nur da und schaut im zunehmend nachtschwarzen Himmel den wenigen weißen Schleiern nach, die am Nachmittag noch Wolken waren. Wie immer fürchtet er sich vor seinem Spiegelbild. "Du siehst das, was du siehst", sagt Lambda. Der Priester schaut weiter. Meisterfrucht erbricht sich derweil an der Betonbrüstung.

ZWEI (lam)

Kisok.

Hässlicher Name für einen Laden mit solch wundervoller Zigarrenqualität. Wie kommt man auf so einen Mist? Und warum treffen wir uns überhaupt hier? Wo es doch so viele andere Plätze in Köln gibt, die ansprechender wären. Ich weiß nicht. Dietronix meinte was von wegen der Dom sei halt so schön anzusehen in der untergehenden Sonne. Soll mir recht sein, hab da nicht so den Tick für. Ich bin eh zu beschäftigt, die neueste Ausgabe der Tits Daily zu studieren, als dass ich irgendwas anderes um mich herum mitbekäme.

Leider kann ich immer weniger erkennen, so sehr ich mich auch anstrenge. Scheiß Dunkelheit. Aber ich werde einfach nicht fertig mit meinem dritten Schmauchzapfen. Und der Ladenbesitzer macht auch gleich zu. Rofler ist vor lauter entspannter Atmosphäre schon im Stuhl eingepennt, stören den die Mücken und diese drückende Schwüle etwa nicht? Da kann man regelrecht neidisch werden. Zumindest unser Priester ist fix und alle, so ein Gackerflash würde jeden in die Knie zwingen. Scheint sich aber wieder beruhigt zu haben. "Wheatley weiß nichts von der Borealis" meint er zu uns. Meine Güte, die quatschende Kugel weiß sogar von GLaDOS' Geheimraum, warum sollte er da nicht auch das größte aller Aperture Science Projekte mitbekommen haben.

Meisterfrucht ist schon nicht mehr ansprechbar, mein Gott ist der voll... Dabei wollte ich ihm noch sagen, dass mir seine Idee, Wheatley sei ein verkappter Kommunist, sehr gefällt. Dietronix, hilf mir mal, wir müssen ihn stützen, er schaffts von alleine nicht mehr nach Hause.

EINS

Ich saß wie immer mit Lambda am Kisok, während er zufrieden seine Tits Daily laß und Cohibas paffte, die alte Sau. Was für ein Abend, zypriotische Verhältnisse bei mehr als 30 Grad. Ich sah zunehmend beunruhigt dabei zu, wie mein zuvor eiskaltes Becks warm wurde, das mir Cosmic nicht gönnte, Mr. Antialkoholiker. Aber ich erwartete das auch von einem Priester, wo kämen wir da hin.

Als Meisterfrucht seine Theorie bekannt gab, blickte Lambda kurz auf und setzte sich abseits des Kisoks auf die benachbarte Parkbank, dichte kubanische Wolken vor sich herpaffend. "Titten", sagte er, kaum verständlich, "Titten sind Titten". Eine kurze Pause entstand, während die restlichen Hefte von Tits Daily im heißen Nachtwind flatterten. "Und Cohibas sind Cohibas."

Ich dachte intensiv über das nach, was Lambda paffend sagte, und ich hatte das Gefühl, dass zwischen all der Hitze, warmem Becks und Cohibaqualm das aufkeimte, was die Meisterfrucht andeutete. Ich sah in den sich schwärzenden Himmel, stellte meine Flasche ab und wandte mich zurück ans Kisok, voller Erwartung und Unsicherheit, Spannung und Zuversicht.

PROLOG

The Tits Daily - Neu am Kisok